Taubendreck

Am Montag morgen gehe ich – wie jeden Montag morgen – um 7 Uhr aus dem Haus, auf den Weg zur Arbeit. Aber was geschieht da? Eine Taube scheisst mir auf den Kopf. Sapperlott.

Die restliche Woche verläuft wie immer.

Nur am nächsten Montag – ja, wie immer 7 Uhr aus dem Haus – gibt’s das? Schon wieder scheisst mir eine Taube auf den Kopf! Das kann ja kein Zufall sein. Also gehe ich am darauffolgenden Montag nicht um 7 Uhr, sondern um 7 Uhr 15 aus dem Haus. Und siehe da, mein Kopf bleibt sauber.

Das erzähle ich natürlich gleich all meinen Freunden und Kollegen – „geht bloss nicht montags um 7 vor die Tür, da scheisst Dir immer eine Taube auf den Kopf!“. Die Leute hören staunend zu – unglaublich, aber jetzt wo du’s sagst, ja ich glaube ich bin auch schon einmal um 7 aus dem Haus, und ja ein Vogel – weiss nicht mehr, ob es eine Taube war – hat mir auf den Kopf geschissen. Da muss was dran sein (war’s eigentlich ein Montag? Egal…).

Mehr und mehr Leute erfahren von der Geschichte. Ich gründe ein regelmässiges Treffen, um „Anti-Kopf-Scheiss“-Strategien zu entwickeln. Die Gruppe erfährt steten Mitgliederzuwachs – und mehr und mehr Personen erzählen von ihren Erlebnissen mit Taubenexkrementen. So ist zum Beispiel nicht nur beim Verlassen von Häusern, sondern auch beim warten auf den Bus und Aussteigen aus dem Auto mit verstärktem Niederschlag von Taubenexkrement zu rechnen. Natürlich nur montagmorgens, denn so habe ich das als Prophet ja „von oben“ gezeigt bekommen.

Nach und nach müssen die Anhänger organisiert werden. Es werden Ortsgruppen gegründet, welche die wahre Lehre des Exkrementators (so werde ich mitlerweile genannt) weitertragen. Natürlich gibt es auch Querulanten und Kritiker. Zum Beispiel wäre einem schon mal am Abend auf den Kopf geschissen worden, und diese „Montag Morgen-Story“ wäre also Blödsinn. So etwas kann aber problemlos entkräftet werden, da ja irgendwo auf der Erde immer Morgens ist. Wäre ja gelacht, wenn wir uns nicht für alles eine Erklärung finden könnten.

Die Mitgliederanzahl der Ecclesia Excrementis Columbinis wächst stetig. Mittlerweile konnten wir Einfluss auf lokale Politiker nehmen, damit der Arbeitstag am Montag morgen grundsätzlich erst um 9:00 Uhr beginnt. Da wir vom Party-feiernden Volk da haltlose Unterstützung bekommen haben, war es auch kein Problem, dies durchzusetzen. Schliesslich ist das ja auch unser gutes Recht, als eingetragene Religionsgemeinschaft auf die Ausübung unseres Glaubens zu bestehen. Eine Vorschrift, montagmorgens immer eine EEC-konforme (EEC, so heissen wir jetzt in Kurzform) Kopfbedeckung zu tragen konnten wir zwar noch nicht durchsetzen, aber unsere Lobbyisten machen hervorragende Arbeit, die bekommen das schon hin.

Hin und wieder habe ich zwar Zweifel, ob das so alles seine Richtigkeit hat. Als Zeitumstellung auf Winterzeit war zum Beispiel, da ging ich versehentlich um 7 am Montag aus dem Haus, weil ich vergessen hatte, die Uhr umzustellen. Erstaunlicherweise blieb mein Kopf sauber. Sicher stellen die Tauben einfach nicht auf Winterzeit um, ja so muss es sein. Ausserdem weiss ich schon gar nicht mehr so richtig, aus welchen genauen Erkenntnissen die 3000 Seiten des Buch „Exkrementis Columbinis“ hervorgegangen sind – ich bin mir nur sicher, dass dies nach wissenschaftlichen Richtlinien entstanden ist. Muss ja, sonst hätten wir kaum so viele Seiten schreiben können! Jedenfalls verkauft sich das Buch prächtig.

Und diese lästigen Demonstranten, die für freie Zeitgestaltung an Montagen plädieren, die lassen wir alle einsperren – schliesslich gibt es jetzt montagmorgens ein Demonstrationsverbot. Das konnten wir mit grosser Mehrheit im Parlament durchsetzen. Hier und da musste zwar geschmiert und Gratis-Seminare auf Fuerteventura spendiert werden, aber das lief ja alles prächtig. Demnächst lasse ich mich dann auch in’s Parlament wählen, da bekommt man dann etwas mehr Handlungsspielraum.

Und diesen Wissenschafts-Idioten, die behaupten, dass das mit EEC alles Humbug wäre, pah. Denen glaubt ja eh keiner mehr. Die Studien, die sie über „Montag Morgen und Zusammenhang mit Taubenexkrement vor Haustüren“ gemacht haben, sind ja nur läppische 20 Seiten lang. Wir haben über 3000! DREITAUSEND!1!!11 Plus Zusatzratgeber! Anfänger!

An dieser Stelle endet die Geschichte. Klar, sie ist frei erfunden. Aber schaut euch mal um, in Sekten, Religionen, Pseudo- und Parawissenschaften, Esoterikern, Dogmatikerkreisen und so weiter: bin ich da mit dieser Geschichte so weit weg? Und woran liegt es? Wir Menschen neigen immer wieder dazu, Korrelation mit Kausalität zu verwechseln. Die zusammenfallende Beobachtung von Ergeignissen zeigt einem aber leider nur im Ausnahmefall die Ursache von Ereignissen auf. Dazu braucht es allerdings sehr viel mehr, wie zum das Beipiel mit dem Bier sehr schön zeigt.

Zudem neigen wir dazu, das Erzählte (oft das „mit Inbrunst“ erzählte) von anderen auf eigene Erlebnisse anzuwenden und zu vergleichen. „Hey genau, so ging es mir auch schonmal“ – hierbei wird nur zu leicht eine Abweichung ignoriert – man kennt und vertraut seinem Gegenüber ja. Dann garnieren wir das noch mit geschriebenem und gedrucktem Wort, und schon bekommt das ganze eine Glaubwürdigkeit, die es eigentlich nicht verdient.

Was lernen wir daraus? Wachsam bleiben, sich selber von den Herleitungen der Behauptungen überzeugen, und glaubt nicht jeden Taubendreck.

6 Gedanken zu “Taubendreck

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