Durch einen Zeitungsartikel, bei dem ich leider nicht mehr, weiss von welcher Zeitung er stammte, bin ich auf dieses Buch gestossen. Aus welchem Grund auch immer, aber momentan wird das Beispiel von Ricardo Semler’s Firma Semco wieder in die deutsche Presse geschleift, obwohl das Buch, auf den die Artikel sich beziehen schon von 2004 (bzw. Erstausgabe bereits 1998!) ist.
Warum also dieser Blog-Titel? Nach nun 14 Jahren im Arbeitsleben (in Vollzeit), nach 7 durchlebten Firmen (hey, im Schnitt alle 2 Jahre ein Wechsel…fällt mir jetzt erst auf ;-) habe ich mich während der ganzen Zeit immer wieder gefragt, warum Menschen, die ja i.d.R. eher humanistisch und zur kollektiven Meinungsbildung erzogen wurden, in der Arbeitswelt plötzlich zu selbstsüchtigen Tyrannen werden. Warum fähige Ingenieure so lange die Karriereleiter heraufgeblubbert werden, bis sie das Maximum ihrer Inkompetenz erreicht haben. Warum man Stunden, Tage, ja Wochen oder Monate in Besprechungen absitzt, die 90% der Teilnehmer als überflüssig ansehen. Warum man dem Kollegen in der Nachbarabteilung nicht helfen darf, obwohl man Zeit hat, die Aufgabe klar ist, und Hilfe nötig wäre, nur weil der Abteilungsleiter beschliesst, dass der Leiter der anderen Abteilung nicht wissen darf, dass man in der eigenen noch Kapazitäten hat.
Ich verstand nie, warum man zwar Chefs vertraut, wenn sie Projektanträge über 15 Millionen Euro einreichen, dem Facharbeiter aber seinen bestellten Bleistift absprechen will. Ich habe auch nie verstanden, warum man Projektpläne macht, die über 2 Jahre gehen. Nach 2 Wochen war der Plan immer bereits veraltet. Warum macht man Business-Pläne, die auf Annahmen basieren, welche so lange schön gerechnet werden, bis eben der Auftrag über 15 Millionen gegeben wird? Und vor allem: warum überprüft nie jemand, ob diese Business-Pläne jemals auch nur annähernd erreicht werden? Und wenn sie überprüft werden, warum muss nie jemand Konsequenzen tragen, wenn sie nicht eingehalten werden?
Ich fragte mich über die Jahre immer wieder: warum ist diese Arbeitswelt so ein Irrenhaus von Kindergarten-Kindern bevölkert?
Nicht, dass ich in den Jobs diese Sachen nicht hinterfragt hätte. Nur habe ich darauf eigentlich immer nur eine Antwort bekommen: „das muss halt so, und in anderen Firmen ist das ganz genauso“. Wie schon eingangs angedeutet, habe ich auch das in Frage gestellt. Ich bin von einer Firma zur nächsten, um nach anfänglichem Enthusiasmus spätestens nach 6-12 Monaten wieder im genau gleichen Irrenhaus zu verweilen. Gut, letzten Endes hat das nun dazu geführt, dass ich in einem Firmen-Setup arbeite, bei dem aufgrund der überschaubaren Mitarbeiterzahl so ein Irrsinn gar nicht möglich ist, darum geht es mir aktuell auch sehr gut. Aber kommt man nicht unweigerlich wieder in dieselbe Tretmühle, sobald die Mitarbeiterzahl über 10 wächst?
Ich dachte: das kann doch nicht sein! Das muss doch auch anders gehen!
Und ich las Artikel über „Open Source“ (nicht Software, sondern Zusammenarbeit von grossen Gruppen), fand das total klasse. Da haben Leute das tatsächlich umgesetzt, dass sie sich quasi selbst aussuchen dürfen, welchen Anteil sie an einem Projekt haben wollen. Wann und wie sie wollen. Und es funktioniert, und erstaunlich effektiv. Sobald man solch ein Thema aber in der Arbeitswelt diskutiert, bekommt man nur zu hören: „Nein, das funktioniert in einer Firma nie. Da muss man die Leute kontrollieren“. Und ich dachte: „Aber Kontrolle killt jede Motivation!“. Jede Kreativität. Kontrolle heisst Dienst nach Vorschrift, und auch die Vorschrift wird gerne mal dehnbar interpretiert. Kontrolle heisst, Aufwand. Manager. Hirarchie. Und ich fand diese Präsentation über Löwen und Ameisen. Und dachte: „Hey, ein vernetztes System mit vielen Knoten verteilt erstens Informationen besser, vermeidet zweitens Redundanzen und ist drittens sehr viel Fehlertoleranter und Fehler-unanfälliger, als jedes strikt hierarchisch gegliedertes System!“ – denn: ist der Diktator ne Pfeife, geht der Staat den Bach runter. Hat eine Ameise ein Hinkebein, übernimmt eine andere deren Job. Aber nein, es kam noch schlimmer: „Das geht nie gut, das kann man doch gar nicht mehr kontrollieren!“ – JA EBEN. Man MUSS es ja auch nicht mehr kontrollieren. Und ich sah, dass Open Source Software-Pojekte Produkte hervorbringen: in kürzerer Zeit als kommerzielle Produkt, und zum Teil in gleichwertiger Qualität (nein, ich bin kein Linux-Fan…). Ich vergegenwärtigte, dass die Wikipedia die Enzyklopädie von Microsoft überflüssig gemacht hat, weil Wikipedia einfach sehr viel schneller sehr viel besser werden konnte. Und ich überlegte, was ist denn nur der Kern an diesen Projekten, warum funktionieren diese so gut? Die Antwort, die für mich am meisten Sinn machte war: Motivation! Leute, die motiviert eine Arbeit – eine BELIEBIGE Arbeit – angehen, machen diese in sehr viel kürzerer Zeit, in sehr viel besserer Qualität als Leute, die dazu gezwungen werden müssen. Durch Kontrolle. Was motiviert denn Leute mehr, als das tun zu können, worauf man Lust hat? Und der Artikel über Open Source (nicht Software, leider finde ich ihn nicht mehr, ist schon 8 Jahre her) erzählte mir, dass es dann eben NICHT so ist, dass nur die Sachen erledigt werden, die „schön“ oder „einfach“ sind, sondern dass tatsächlich ALLE Arbeiten quasi wie von selber erledigt werden. Und das kann ich nachvollziehen. Wenn ich tagelang an einem schwierigen Algorithmus in Software überlege, und es einfach nicht hinbekomme, dann brauche ich eine stupide, einfache Arbeit, möglichst mit den Händen, damit die Muskeln sich bewegen, damit der Kopf wieder frei wird. Zum Beispiel Aufräumen. Zum Beipiel Akten einsortieren. Zum Beispiel Holz hacken.
Dann kam der Gedanke, das alles zu formulieren, und in ein Buch zu fassen. Es MUSS doch ein Konzept möglich sein, bei dem Arbeit Spass machen kann. Wo Kontrolle überflüssig wird, weil alle freiwillig das nötige tun. Auch wenn alle Welt mir widersprach. Ich wäre ja quasi völlig bescheuert.
Doch dann kam dieses Buch, und der Ricardo Semler macht das schon seit über 20 Jahren! Die brasilianische Firma Semco, die er von seinem Vater übernommen hat, funktioniert genau so. Und sehr erfolgreich. Innerhalb sechs Jahren haben sie den Umsatz von 35 Millionen USD auf 160 Millionen vergrössert. Er selber als grösster Anteilseigner der Firma, hat indes keine Kontrollfunktion. Er ist nur Impulsgeber, und auch seine Ideen werden nur zu oft verworfen, weil seine Mitarbeiter es einfach nur mitmachen, wenn sie selber finden, dass es eine gute Idee ist. Ein Teil der Angestellten bestimmt ihr Gehalt selber. Ja, richtig gelesen. Wenn jemand nicht glücklich ist im Job darf – ja soll – sogar rotiert werden, bis eine Stelle gefunden wird, wo es passt. Es gibt keine Stellenbeschreibungen. Keine Arbeitsrichtlinien. Die Leute bestimmen auch in der Produktion ihre Schichten selber. Mitarbeiter und Gewerkschaften diskutieren zusammen mit der Leitung, wie am besten eine Fabrik geschlossen wird, wenn der Markt nicht mehr da ist, denn jeder Mitarbeiter hat Einsicht in alle Finanzen der Firma, die zu diesem Zweck sogar „lesbar“ aufbereitet werden. Schliesslich hat nicht jeder ein BWL Studium gemacht. Jeder Mitarbeiter darf auch bei Vorstandssitzungen dabeisein – im Rotationssystem. Jeder hat die gleiche Stimme. In Besprechungen darf einfach aufgestanden und gegangen werden. Schliesslich ist das ja vergeudete Zeit, wenn sich dort nur gelangweilt wird. Pläne werden nie Länger als 6 Monate gemacht. Es wirkt ausschliesslich eine soziale Kontrolle in der Gruppe, da vollständige Offenheit herrscht. Informationen sind von allen, immer zugänglich. Arbeitszeiten und Arbeitsplatz flexibel. Heisst: Warum Montags bei bestem Skiwetter im Stau stehen zur Arbeit, wenn man die gleiche Arbeit bei Regen am Sonntag machen kann und freie Bahn auf der Piste am Montag haben kann?
Und es funktioniert! Ihr, die mir immer widersprochen habt, ihr hattet Unrecht! Es geht tatsächlich! Lest dieses Buch! Wenigstens muss ich es jetzt nicht mehr schreiben!
Danke, Ricardo.