Room with a view

Ich sitze alleine im Büro am Schreibtisch. Die Stehlampe sendet ihr schummeriges Licht in den vom schummerigen Novemberlicht nicht sehr hell erleuchteten Raum. Die Heizung läuft auf Vollgas, und ich kann sie nicht herunterregeln. So macht man dann eben „Temperaturregelung à la DDR“ – Fenster auf bei laufender Heizung. Ökologisch ist anders.

Mein Schreibtisch steht direkt am Fenster – wenn ich nach rechts schaue, sehe ich Büro und Wohngebäude, ineinander verschachtelt, als wenn sie wie Unkraut neben und übereinander gewachsen wären. An der Eingangstür gegenüber stehen jede Stunde die gleichen Frauen und schnattern, gestikulieren, rauchen.

Der Presslufthammer der Baustelle um die Ecke fängt wieder an zu arbeiten. Hämmern. Knattern. Nerven. Also schnell das Fenster wieder zu. Frische Luft kam eh keine herein. Der Grossstadtmief wird netterweise noch zusätzlich durch eine mobile Heizanlage mit Dieselqualm angereichert.

Und ich frage mich, wie es so viele Leute schaffen, bei so einer Stimmung nicht depressiv zu werden? Ich frage mich, wieso ich es nicht werde? Früher hat mich so etwas regelmässig aus der Bahn geworfen, ich war quasi arbeitsunfähig, hab mich durch den Tag prokrastiniert. Abends Bier, morgens dann wieder Kaffee.

Aber irgendetwas ist anders dieses Jahr. Die Midlife-Crisis, die vorüber ist? Oder fruchten endlich die vielen Massnahmen? Maximal 2 Kaffee am Tag? Weniger Alkohol? Mehr Pausen von der Bildschirmarbeit? Projekte mit anderen zusammen, statt immer als Einzelkämpfer? Keine Dienstreisen mehr? Den ganzen Privatkram bündeln, und eins nach dem anderen machen? Kaum noch Bloggen, kaum noch Social Media?

Während ich so sinniere kommt die Sonne raus, wie zum zeigen: ja vielleicht bewirken die ganzen Sachen doch etwas, und zum ersten mal seit langem bekommt das Novemberloch eine lange Nase gezeigt.

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